2 Andererseits ist dann, wenn die urbildlichen (magischen) Inhalte mehr oder minder unzensiert erlebt werden oder als bildnerische Darstellung in Erscheinung treten, die Erkenntnisfähigkeit in der für dieses Erleben oder diese Darstellung spezifischen Bewußtseinslage so weit eingeschränkt, daß ‘Gestaltung’ im artifiziellen Sinn oder ‘Bewußtseinserweiterung’ weitgehend ausgeschlossen sind.
Psychoanalytische Deutungen sind im Rahmen dieser Versuchsreihe nicht intendiert. Sie könnten - aufgrund von präzisen Anamnesen - nur unabhängig von einer psycho- ästhetischen Untersuchung geleistet werden. Die Vermengung der unterschiedlichen Kriterien führt nur zu vagen Spekulationen.
C. G. Jung und in seiner Nachfolge Erich Neumann haben die Relationen zwischen Bewußtseinslage und optischer Darstellungsform nicht dargestellt. Ihnen ging es um die allen Kulturen gemeinsam zugehörige Bildwelt, an der die verschiedenen Bewußtseinsstufen exemplifiziert werden. Aus der ursprünglichen Einheit von Mensch und Kosmos entwickelt sich das ausgeprägte Bewußtsein über verschiedene Stadien derBewußtwerdung, d. h. der Durchmischung mit dem Unbewußten; parallel dazu wandeln sich die Bild- Begriffe. In ähnlicher Weise entfaltet sich das Bewußtsein jedes einzelnen, wobei das dem Kleinkind eigene Geborgensein im Unbewußten den Ausgangspunkt bildet.
In entsprechender Weise - wenn auch rückläufig - wandelt sich das Bewußtsein unter dem Einfluß der Droge. Zur Beurteilung dieser Phänomene bietet die Jungsche Theorie keine Hilfe: sie stellt die Bildinhalte in den Rahmen eines vorgeformten begrifflichen Kanons im Sinne der Komplexen Psychologie (so die Bezeichnung für den psychologischen Ansatz von C. G. Jung). Unberücksichtigt bleibt der formalästhetische Darstellungsradius. Die Archetypenlehre kann bei der Interpretation eines LSD-Bildes nur im Falle einer primär archetypischen Darstellungsweise herangezogen werden; diese ergibt sich aber nur unter bestimmten Voraussetzungen (vgl. den Versuch Petrick).
Im Gegensatz zu Jung dechiffriert H. Leuner die archetypischen Symbole in unmittelbarer Verbindung mit der Person dessen, der sie produziert, so daß die Auswertung in der therapeutischen Praxis möglich wird. Unter speziellen, von Leuner ausgearbeiteten Versuchsbedingungen wird der Proband dazu angehalten, den etwa auftauchenden Tiergestalten und Zwitterwesen nicht auszuweichen, sondern sich ihnen zu stellen. Daraus resultiert eine reale Auseinandersetzung mit dem zuvor ängstlich gemiedenen Sym-
Ur, ArchftUche "VtB X
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Frühdynutiach III
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Mischwesen und Monstren in der Vorstellungs- und Ausdruckswelt der archaischen und psychotischen Menschen, nach Hans Rennert und Heinz Mode
bolwesen. So wird zum Beispiel ein aggressives Monster, das anfangs starke Affektreaktionen auslöste, mit der Zeit kleiner, harmloser aussehend; es wandelt sich in ein phylogenetisch höheres Tiersymbol - ein Krokodil - und schließlich in einen Storch, der anfangs noch auf die Versuchsperson einhackt, sich dann aber sogar streicheln läßt. Bei der Wiederaufnahme des Themas am anderen Tag zeigt sich zunächst ein skelettier- ter Fisch, aus dem ein brüllender Löwe wird, später ein Stier. Am Ende der Meta-
«,1^1 t-SiMätf &morphosen wird das symbolisch Männliche dieser Tiergestalt immer deutlicher; sie nimmt menschliche Züge an, und schließlich erkennt die Versuchsperson ihren Vater, der einen Stock schwingt. Angesichts dieser ihr wohlbekannten Geste bricht sie in Tränen aus.
Der geschilderte Versuch berührt sich mit den Vorstellungen C. G. Jungs insofern, als die darin auftretenden Gestalten in sogenannten Serienträumen eine ‘phylogenetische Entwicklung’ durchmachen. Hinter der Kette von Anschauungsbildern steht als treibende Kraft die ‘Angst vor dem Vater’. Die Wandlung der Tiergestalten entspricht einer Aufarbeitung der seelischen Problematik. Naheliegend ist die Verlockung, die Kenntnis von tiefenpsychologischen Prozessen auf Artefakte zu übertragen und leichtfertig von der im Bild dargestellten seelischen Befindlichkeit des Malers zu sprechen, wenn die Darstellung ‘Traumhaftes’ suggeriert. Der Aussagewert solcher Projektionen wäre jedoch gering (vgl. auch Versuch T. Häfner S. 202 ff.).
8 Autosymbolik in der Malerei
H. Leuner hat die Probanden aufgefordert, »nach innen zu hören«, die Bilder der Psyche zu registrieren, während die Künstler dieser Versuchsreihe immer wieder dazu ermuntert wurden, sich zu produzieren. Darin liegt eine entscheidende Differenz, die übertragbar ist auf autosymbolische Bildphänomene außerhalb von LSD-Versuchen. Wir finden solche Phänomene in Fülle: Zwitterwesen - halb Tier, halb Mensch, oder Androgyne, halb Mann, halb Frau -, eingeschlechtige disproportionierte Monster bei oraler, analer oder genitaler Tätigkeit geistern durch die phantastische Malerei, lange vor Brueghel und Bosch; letzterer allerding hat sie systematisch in seinem Werk versammelt. Der Bosch-Forscher Fraenger gab Hinweise darauf, daß der Maler gewisse Halluzinationen fördernde Kräuter probiert, also ‘Drogen-Erfahrung’ gehabt habe.
Darstellungen dieser Art mit triebbezogenen Motiven finden sich in der gesamten abendländischen Malerei offenbar unabhängig von dem jeweils vorherrschenden Stil, erscheinen aber zuweilen in diesen integriert. Ob sie unreflektiert in das Bildgeschehen aufgenommen oder bewußt zitiert, also ‘gesetzt’ sind, läßt sich nach dem derzeitigen Stand dateneingabe psychoästhetischer Forschung nicht sagen. Ein dominant vom Bewußtsein bestimmter Prozeß rein seelischer oder bildnerischer Art drängt psychoautomatische Darstellungen zurück; zweifellos enthält aber auch das sogenannte Sich-Bewußtmachen immer noch ein Moment des Unkontrollierten, Unzensurierten. Je zielgerichteter aber künstlerische Aktivität ist, und sei es in Hinsicht auf bestimmte triebbezogene Darstellungen oder Bildinhalte, desto stärker ist auch die vom Bewußtsein unter der Vorspiegelung des Ästhetischen ausgeübte Zensur.
Psychoautomatische Verschmelzungen von Erlebnis und Darstellung sind im abendländischen Kulturkreis nur unter Ausnahmebedingungen vorstellbar, etwa bei hohen LSD-Gaben. Denken wir uns die bildnerische Bearbeitung solchen Triebgeschehens in verschiedenen Graden auf einer Skala angeordnet, so würden das eine Ende im Sinne
unanfechtbarer Autosymbolik Primitive, Schizophrene und - Kinder einnehmen; auf der anderen Seite fänden sich autosymbolische Bildphänomene in Form von Zitaten. In der Mitte der Skala etwa wäre das immer noch provozierende Werk Friedrich Schröder-Sonnensterns anzusiedeln. Das CEuvre Schröder-Sonnensterns, eines Außenseiters der durchrationalisierten Gesellschaft und Autodidakten, der erst im Alter zu malen begann, ist tief im Magischen verwurzelt, aber es ist zu einem nicht klar abgrenz- baren Teil, als Reaktion auf das ihm entgegengebrachte Verhalten und Arrangement in seiner Umwelt, auch bewußte Setzung, Selbstzitat. Provozierend daran ist das moralisierend ‘obszön’ Genannte, in Wahrheit eine Botschaft aus dem Unbewußten. Am Beispiel des Werkes von Schröder-Sonnenstern tritt die Inadäquatheit kunsthistorischer Kategorien zutage.
Die Intention eines Kunstwissenschaftlers ist darauf gerichtet, ein Kunstwerk in seiner gewollten Identität wiederherzustellen. Für frei produzierte, von psychoautoma- tischen Vorgängen gleichsam unbelastete Kunstwerke besteht immer eine nach jeweils aufzeigbaren Regeln sich vollziehende Dialektik von Intention und Erscheinung, von Meinendem und Gemeintem. Sie ist evozierbar und nachvollziehbar, auch bei gegenstandsfreier Kunst auf prärationalen Erlebnisebenen. Anders bei einem Bild Schröder- Sonnensterns: auch hier gibt es ‘Flandlung’, Bizarr-Ornamentales, ins Groteske verzerrte Gestalten, Naiv-Lustiges, der Welt des Märchens und des Puppentheaters Entstammendes, Analsinnliches und Fäkalisches in kindlich heiterer, lustvoller Darstellung - all das steht in einer erkennbaren Beziehung zueinander. Doch die Ebene dieser Kommunikation ist dem nüchternen Betrachter versperrt; das Werk provoziert Extreme, die nicht zu verifizieren sind, stark affektiv besetzte Reaktionen. Der Grund liegt darin, daß seine Erlebnisebene nicht ‘verstanden’ wird, daß das, was so offenkundig mit sich selber kommuniziert, keine Kommunikation nach draußen ermöglicht, daß keine Strukturen hervorgebracht sind, die ein analoges Verstehen zulassen. Was in bezug auf Schröder- Sonnenstern gesagt wurde, gilt in gleichem Maße für Wölfli, Eugen Gabritschevsky, Jeanne Gedon.
Nun ist das uns Unbekannte oder nicht mehr Gekannte keineswegs immer das Unbewußte. Gewiß ist nur, daß die Methode der Einfühlung und alle Beschreibungsstrategien in Hinsicht auf das Gemeinte an ihre Grenzen stoßen. Es werden nur Randphänomene verstanden, weil auf beiden Seiten - der Produktion und der Rezeption - verschiedene Codes bestehen; das Zentrum der Mitteilung oder ihre komplexe Ganzheit bleiben fremd, und Fremdheit ist bekanntlich schwer erträglich. Ähnlich wirkt in Märchen und Volksliedern ein fremdartig Magisches nach, das durch Überlieferung verfälscht oder unkenntlich gemacht wurde und vor dem wir erschrecken würden, könnten wir es in der ursprünglichen Gestalt entdecken. So erweist sich: jenes Ende der Skala, das ins Triebgeschehen hinabreicht, ist ins Dunkel gehüllt.
Triebinhalte in bewußter Gestaltung entbindet die Phantastische Malerei aller Zeiten, speziell die Ars Phantastica der Wiener Schule und in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Eine sozialpsychologische Analyse dieser Phänomene wurde bis heute meines
Wissens noch nicht geleistet. Sie könnte Erhellendes beitragen zur Klärung individuellen Verhaltens unter bestimmten Aspekten künstlerischer Kommunikation, in der die Bildnerei als nicht-verbales Zeichensystem eine Rolle spielt. Die bloße Behauptung von Autosymbolik - deren Nachweis in der Regel nicht erbracht werden kann - vermag den Mangel an Erkenntnis nicht zu kompensieren.
Keinesfalls hilft die Selbstaussage des Künstlers weiter, sofern ihr ein objektivanalytischer Wert unterstellt wird. Alfred Kubin hat sich seiner psychotoxischen Erlebnisse in einem autobiografischen Roman erinnert: Die andere Seite. Er beschreibt das Inferno der Psychose und illustriert es als Zeichner. Falsch wäre es anzunehmen, es handele sich dabei um unverstellte Bilder des Wahns: als er seinen ‘Psycho- Report’ entwarf, stand er bereits fest auf ‘dieser Seite’; er zitierte in voller Freiheit aus der Erinnerung, seine Bilder sind integriert in den Stil der Jahrhundertwende (wobei symbolistische Elemente dominieren, deren Vorbilder sich leicht nachweisen lassen). Das autosymbolische Material
Psychoanalytische Deutungen sind im Rahmen dieser Versuchsreihe nicht intendiert. Sie könnten - aufgrund von präzisen Anamnesen - nur unabhängig von einer psycho- ästhetischen Untersuchung geleistet werden. Die Vermengung der unterschiedlichen Kriterien führt nur zu vagen Spekulationen.
C. G. Jung und in seiner Nachfolge Erich Neumann haben die Relationen zwischen Bewußtseinslage und optischer Darstellungsform nicht dargestellt. Ihnen ging es um die allen Kulturen gemeinsam zugehörige Bildwelt, an der die verschiedenen Bewußtseinsstufen exemplifiziert werden. Aus der ursprünglichen Einheit von Mensch und Kosmos entwickelt sich das ausgeprägte Bewußtsein über verschiedene Stadien derBewußtwerdung, d. h. der Durchmischung mit dem Unbewußten; parallel dazu wandeln sich die Bild- Begriffe. In ähnlicher Weise entfaltet sich das Bewußtsein jedes einzelnen, wobei das dem Kleinkind eigene Geborgensein im Unbewußten den Ausgangspunkt bildet.
In entsprechender Weise - wenn auch rückläufig - wandelt sich das Bewußtsein unter dem Einfluß der Droge. Zur Beurteilung dieser Phänomene bietet die Jungsche Theorie keine Hilfe: sie stellt die Bildinhalte in den Rahmen eines vorgeformten begrifflichen Kanons im Sinne der Komplexen Psychologie (so die Bezeichnung für den psychologischen Ansatz von C. G. Jung). Unberücksichtigt bleibt der formalästhetische Darstellungsradius. Die Archetypenlehre kann bei der Interpretation eines LSD-Bildes nur im Falle einer primär archetypischen Darstellungsweise herangezogen werden; diese ergibt sich aber nur unter bestimmten Voraussetzungen (vgl. den Versuch Petrick).
Im Gegensatz zu Jung dechiffriert H. Leuner die archetypischen Symbole in unmittelbarer Verbindung mit der Person dessen, der sie produziert, so daß die Auswertung in der therapeutischen Praxis möglich wird. Unter speziellen, von Leuner ausgearbeiteten Versuchsbedingungen wird der Proband dazu angehalten, den etwa auftauchenden Tiergestalten und Zwitterwesen nicht auszuweichen, sondern sich ihnen zu stellen. Daraus resultiert eine reale Auseinandersetzung mit dem zuvor ängstlich gemiedenen Sym-
Ur, ArchftUche "VtB X
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Mischwesen und Monstren in der Vorstellungs- und Ausdruckswelt der archaischen und psychotischen Menschen, nach Hans Rennert und Heinz Mode
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«,1^1 t-SiMätf &morphosen wird das symbolisch Männliche dieser Tiergestalt immer deutlicher; sie nimmt menschliche Züge an, und schließlich erkennt die Versuchsperson ihren Vater, der einen Stock schwingt. Angesichts dieser ihr wohlbekannten Geste bricht sie in Tränen aus.
Der geschilderte Versuch berührt sich mit den Vorstellungen C. G. Jungs insofern, als die darin auftretenden Gestalten in sogenannten Serienträumen eine ‘phylogenetische Entwicklung’ durchmachen. Hinter der Kette von Anschauungsbildern steht als treibende Kraft die ‘Angst vor dem Vater’. Die Wandlung der Tiergestalten entspricht einer Aufarbeitung der seelischen Problematik. Naheliegend ist die Verlockung, die Kenntnis von tiefenpsychologischen Prozessen auf Artefakte zu übertragen und leichtfertig von der im Bild dargestellten seelischen Befindlichkeit des Malers zu sprechen, wenn die Darstellung ‘Traumhaftes’ suggeriert. Der Aussagewert solcher Projektionen wäre jedoch gering (vgl. auch Versuch T. Häfner S. 202 ff.).
8 Autosymbolik in der Malerei
H. Leuner hat die Probanden aufgefordert, »nach innen zu hören«, die Bilder der Psyche zu registrieren, während die Künstler dieser Versuchsreihe immer wieder dazu ermuntert wurden, sich zu produzieren. Darin liegt eine entscheidende Differenz, die übertragbar ist auf autosymbolische Bildphänomene außerhalb von LSD-Versuchen. Wir finden solche Phänomene in Fülle: Zwitterwesen - halb Tier, halb Mensch, oder Androgyne, halb Mann, halb Frau -, eingeschlechtige disproportionierte Monster bei oraler, analer oder genitaler Tätigkeit geistern durch die phantastische Malerei, lange vor Brueghel und Bosch; letzterer allerding hat sie systematisch in seinem Werk versammelt. Der Bosch-Forscher Fraenger gab Hinweise darauf, daß der Maler gewisse Halluzinationen fördernde Kräuter probiert, also ‘Drogen-Erfahrung’ gehabt habe.
Darstellungen dieser Art mit triebbezogenen Motiven finden sich in der gesamten abendländischen Malerei offenbar unabhängig von dem jeweils vorherrschenden Stil, erscheinen aber zuweilen in diesen integriert. Ob sie unreflektiert in das Bildgeschehen aufgenommen oder bewußt zitiert, also ‘gesetzt’ sind, läßt sich nach dem derzeitigen Stand dateneingabe psychoästhetischer Forschung nicht sagen. Ein dominant vom Bewußtsein bestimmter Prozeß rein seelischer oder bildnerischer Art drängt psychoautomatische Darstellungen zurück; zweifellos enthält aber auch das sogenannte Sich-Bewußtmachen immer noch ein Moment des Unkontrollierten, Unzensurierten. Je zielgerichteter aber künstlerische Aktivität ist, und sei es in Hinsicht auf bestimmte triebbezogene Darstellungen oder Bildinhalte, desto stärker ist auch die vom Bewußtsein unter der Vorspiegelung des Ästhetischen ausgeübte Zensur.
Psychoautomatische Verschmelzungen von Erlebnis und Darstellung sind im abendländischen Kulturkreis nur unter Ausnahmebedingungen vorstellbar, etwa bei hohen LSD-Gaben. Denken wir uns die bildnerische Bearbeitung solchen Triebgeschehens in verschiedenen Graden auf einer Skala angeordnet, so würden das eine Ende im Sinne
unanfechtbarer Autosymbolik Primitive, Schizophrene und - Kinder einnehmen; auf der anderen Seite fänden sich autosymbolische Bildphänomene in Form von Zitaten. In der Mitte der Skala etwa wäre das immer noch provozierende Werk Friedrich Schröder-Sonnensterns anzusiedeln. Das CEuvre Schröder-Sonnensterns, eines Außenseiters der durchrationalisierten Gesellschaft und Autodidakten, der erst im Alter zu malen begann, ist tief im Magischen verwurzelt, aber es ist zu einem nicht klar abgrenz- baren Teil, als Reaktion auf das ihm entgegengebrachte Verhalten und Arrangement in seiner Umwelt, auch bewußte Setzung, Selbstzitat. Provozierend daran ist das moralisierend ‘obszön’ Genannte, in Wahrheit eine Botschaft aus dem Unbewußten. Am Beispiel des Werkes von Schröder-Sonnenstern tritt die Inadäquatheit kunsthistorischer Kategorien zutage.
Die Intention eines Kunstwissenschaftlers ist darauf gerichtet, ein Kunstwerk in seiner gewollten Identität wiederherzustellen. Für frei produzierte, von psychoautoma- tischen Vorgängen gleichsam unbelastete Kunstwerke besteht immer eine nach jeweils aufzeigbaren Regeln sich vollziehende Dialektik von Intention und Erscheinung, von Meinendem und Gemeintem. Sie ist evozierbar und nachvollziehbar, auch bei gegenstandsfreier Kunst auf prärationalen Erlebnisebenen. Anders bei einem Bild Schröder- Sonnensterns: auch hier gibt es ‘Flandlung’, Bizarr-Ornamentales, ins Groteske verzerrte Gestalten, Naiv-Lustiges, der Welt des Märchens und des Puppentheaters Entstammendes, Analsinnliches und Fäkalisches in kindlich heiterer, lustvoller Darstellung - all das steht in einer erkennbaren Beziehung zueinander. Doch die Ebene dieser Kommunikation ist dem nüchternen Betrachter versperrt; das Werk provoziert Extreme, die nicht zu verifizieren sind, stark affektiv besetzte Reaktionen. Der Grund liegt darin, daß seine Erlebnisebene nicht ‘verstanden’ wird, daß das, was so offenkundig mit sich selber kommuniziert, keine Kommunikation nach draußen ermöglicht, daß keine Strukturen hervorgebracht sind, die ein analoges Verstehen zulassen. Was in bezug auf Schröder- Sonnenstern gesagt wurde, gilt in gleichem Maße für Wölfli, Eugen Gabritschevsky, Jeanne Gedon.
Nun ist das uns Unbekannte oder nicht mehr Gekannte keineswegs immer das Unbewußte. Gewiß ist nur, daß die Methode der Einfühlung und alle Beschreibungsstrategien in Hinsicht auf das Gemeinte an ihre Grenzen stoßen. Es werden nur Randphänomene verstanden, weil auf beiden Seiten - der Produktion und der Rezeption - verschiedene Codes bestehen; das Zentrum der Mitteilung oder ihre komplexe Ganzheit bleiben fremd, und Fremdheit ist bekanntlich schwer erträglich. Ähnlich wirkt in Märchen und Volksliedern ein fremdartig Magisches nach, das durch Überlieferung verfälscht oder unkenntlich gemacht wurde und vor dem wir erschrecken würden, könnten wir es in der ursprünglichen Gestalt entdecken. So erweist sich: jenes Ende der Skala, das ins Triebgeschehen hinabreicht, ist ins Dunkel gehüllt.
Triebinhalte in bewußter Gestaltung entbindet die Phantastische Malerei aller Zeiten, speziell die Ars Phantastica der Wiener Schule und in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Eine sozialpsychologische Analyse dieser Phänomene wurde bis heute meines
Wissens noch nicht geleistet. Sie könnte Erhellendes beitragen zur Klärung individuellen Verhaltens unter bestimmten Aspekten künstlerischer Kommunikation, in der die Bildnerei als nicht-verbales Zeichensystem eine Rolle spielt. Die bloße Behauptung von Autosymbolik - deren Nachweis in der Regel nicht erbracht werden kann - vermag den Mangel an Erkenntnis nicht zu kompensieren.
Keinesfalls hilft die Selbstaussage des Künstlers weiter, sofern ihr ein objektivanalytischer Wert unterstellt wird. Alfred Kubin hat sich seiner psychotoxischen Erlebnisse in einem autobiografischen Roman erinnert: Die andere Seite. Er beschreibt das Inferno der Psychose und illustriert es als Zeichner. Falsch wäre es anzunehmen, es handele sich dabei um unverstellte Bilder des Wahns: als er seinen ‘Psycho- Report’ entwarf, stand er bereits fest auf ‘dieser Seite’; er zitierte in voller Freiheit aus der Erinnerung, seine Bilder sind integriert in den Stil der Jahrhundertwende (wobei symbolistische Elemente dominieren, deren Vorbilder sich leicht nachweisen lassen). Das autosymbolische Material